Ernst Tollers Kunst – aktueller denn je

Artikel geschrieben von Mara Beinersdorf (Klasse 10/3)

Für einen Euro erhält man in Zeiten der Inflation nicht viel. Doch genau für solch eine niedrige Spende bekam das Publikum am 1. September im Meininger Volkshaus eine inspirierende Collage aus Schauspiel, Musik und szenischer Lesung geboten. Jene anregende Darbietung fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe „80 Jahre danach“ anlässlich der Deportationen von Meininger Jüdinnen und Juden im Mai und September 1942 statt. Gerade einmal zwei Schauspieler (Vivian Frey und Emma Suthe) sowie eine Pianistin (Virginia Breitenstein) gestalteten eine bemerkenswerte Interpretation von Ernst Tollers Drama  „Der deutsche Hinkemann“, kombiniert mit einigen seiner kritischen Aufzeichnungen über Krieg und den Nationalsozialismus.

Das Werk des pazifistischen Sozialdemokraten führt Zuschauern auch noch, 99 Jahre nach der Erstveröffentlichung, vor Augen, was Kriegseuphorie und Patriotismus aus Menschen machen können und wie rasch ein vollwertiges Mitglied der „überlegenen Rasse“ zu einer diskriminierten Minderheit absteigen kann. Schonungslos werden die Folgen des Kriegsdienstes für Durchschnittsbürger offenbart, welche nicht nur Verwundungen beinhalten, sondern auch oftmals schwerwiegenden Seelenschaden. Das gleiche Schicksal ereilte Ernst Toller. Er diente zwei Jahre im Ersten Weltkrieg für Deutschland, die ihn nicht nur schädigten, sondern auch zum Pazifismus führten.

Aus seinen nachfolgenden Aufzeichnungen lassen sich genauso einige Parallelen zur Gegenwart ziehen. Beispielsweise als im Jahre 1914 erstmals der Krieg zwischen Österreich und Serbien begann, erfolgte die Abstumpfung der Bevölkerung anderer Europastaaten bereits binnen weniger Monate. Das gleiche Phänomen können wir an uns selbst erkennen, denn der Schock über den Ausbruch des Ukraine-Krieges verblasst zunehmend zwischen unseren Alltagsproblemen. Die Annahme, dass womöglich mehr als zwei Staaten direkt involviert werden könnten, liegt noch weit entfernt in der Zukunft. Doch ist es so unmöglich, dass ein ähnlicher Ausgang erfolgt wie vor 108 Jahre? Entscheidend im Krieg – vergangen sowie gegenwärtig – sind trotzdem weder die Beteiligten noch der Konflikt. Entscheidend ist, ob unmittelbar Betroffene gezwungen sind dem Tod ins bleiche Gesicht zu schauen oder nicht. Dieser lässt sich nämlich auf beiden Seiten blicken. Denn schließlich sind alle Gefallene Menschen aus ein und derselben Welt.

Ebenfalls äußerte Ernst Toller Anfang der 30er Jahre seine unverblümte Meinung zum aufsteigendem Nationalsozialismus. Seine Verachtung ernteten nicht nur die Mitglieder der NSDAP, sondern genauso das Volk, welches einem „falschen Heiland“ zujubelte. Die Deutschen wünschten sich einen Erlöser, einen Führer, der sie aus dem Elend erretten konnte. Da die wenigsten von ihnen Deutschlands niederschmetternde Kriegsvorgeschichte reflektierten, erkannte der Großteil nicht, dass ihr Leid mittelbar selbstgewählter Natur entsprang. Und erneut zieht sich eine Parallele in die Gegenwart.

Mit den Worten „Jeder Tag kann das Paradies bringen, jede Nacht die Sintflut“ beendeten die Künstler eine Vorführung mit reichlich gesäten Gänsehautmomenten. Das Publikum verließ das Volkshaus mit dem letzten Zitat im Gedächtnis und dessen Bedeutung, dass, so gesehen, alles zu jederzeit passieren kann. Die schönsten und zugleich schrecklichsten Ereignisse können in dem Utopia, was wir schlichtweg als Leben betrachten, jeder Zeit geschehen. Und mit dem Gedanken, dass wir endlich aus den Fehlern der Vergangenheit lernen sollten, um das Paradies weiterer Artgenossen nicht erneut in eine Sintflut zu verwandeln, endete diese aufschlussreiche Veranstaltung.

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